Von Max Schultze
Bei dem hier erstmals in voller Länge veröffentlichten Text des Architekten und Künstlers Max Schultze (1845-1926) handelt es sich um die buchstabengtreue Transkription eines im Dezember 1919 niedergeschriebenen 31-seitigen Autorenmanuskripts, dessen Original sich im Besitz des Verlages Michael Laßleben in Kallmünz befindet.
Schultze, der von 1872 bis 1913 insgesamt 40 Jahre lang als Hofarchitekt in Diensten des Fürstenhauses Thurn und Taxis in Regensburg gestanden war, hatte zwischen 1904 und 1907 unter dem Titel „Die landschaftliche Umgebung Regensburgs in künstlerischer Beziehung“ für die Mitglieder der Sektion Regensburg des Bayerischen Waldvereins einen Lichtbildervortrag in drei Fortsetzungen gehalten. Diese Vortragsreihe war offenbar ein „außerordentlicher Erfolg“. Vom dritten Abend ist überliefert, dass er am 26. März 1907 in dem bis auf den letzten Platz besetzten Sternbräusaal in der Regensburger Maximilianstraße 9 stattfand.
Max Schultze war zu dieser Zeit bereits ein geschätzter Landschaftsfotograf und ein erfahrener Referent. Seit 1880 hatte er regelmäßig bei den Vereinsabenden der Sektion Regensburg des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, deren Vorsitzender er zwischen 1883 und 1905 war, Vorträge über diverse alpinistische Themen gehalten. Die Alpenvereinssektion war es auch gewesen, die schon 1892 zusammen mit dem naturwissenschaftlichen Verein Regensburg einen der ersten Lichtbildervorträge in Regensburg veranstaltet hatte. 1905 erwarb sie sogar einen eigenen Projektionsapparat – damals immer noch Seltenheit in Regensburg –, welchen Schultze auch für seine Vorträge beim Waldverein benutzen durfte. Seine Art der Lichtbilder-Vorführung unterschied sich ihm zufolge übrigens von der anderer damaliger Vortragsredner: Während jene ihre Bilder immer erst am Ende ihrer Ausführungen und ganz schnell hintereinander ohne größere Erläuterungen gezeigt hätten, sei es ihm ein Anliegen gewesen, „die Bilder in künstlerischer Hinsicht“ einzeln zu kommentieren.
Die beim ersten Waldvereins-Vortragsabend am 2. März 1904 gezeigten, von ihm selbst gefertigten Lichtbilder-Diapositive („keineswegs Meisterwerke“) schickte Max Schultze, der nach seiner Pensionierung in seinen Heimatort Partenkirchen zurückgekehrt war, am 1. Januar 1920 „als Neujahrsangebinde“ an seinen langjährigen Freund, den Herausgeber der Zeitschrift „Die Oberpfalz“, Johann Baptist Laßleben in Kallmünz. Sie sind dort ebenfalls noch erhalten und werden zur Illustration des nachfolgend abgedruckten Textes am jeweils dafür vorgesehenen Ort abgebildet. Das Manuskript dazu hatte Schultze erst Ende 1919 eigens für Laßleben verfasst, wie er selbst berichtet: „Ich habe, damit Sie sehen, wie ich meine Vorträge hielt, als ich in Regensburg den `Apostel für die Schönheit der Umgebung´ spielte, den über das Labertal nach meinen Skizzen niedergeschrieben und ihn mit einer Art Einleitung versehen, in der ich das zusammenfaßte, was ich in den verschiedenen Vorträgen zerstreut an den Mann bringen wollte und gebracht habe“.
Als einem typischen Vertreter der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch in Bayern allmählich formierenden Heimatschutzbewegung war es für den gebürtigen Oberbayern Max Schultze in seinen Regensburger Jahren ein zentrales Anliegen, einen „Schwanengesang für die Oberpfalz“ anzustimmen und damit „Propaganda für die heute noch unbekannte, fast (landschaftlich) verrufene Provinz“ zu machen. Bei seinen Waldvereins-Vorträgen und anderen Aktivitäten, wie zum Beispiel seinem großen Engagement für die Oberpfälzische Kreisausstellung 1910 in Regensburg , kultivierte er daher konsequent den Gedanken der Heimatpflege. Er hat dies bisweilen mit geradezu missionarischem Eifer getan, wie das nachstehend abgedruckte Manuskript deutlich macht. Weil das „Sehen in der Natur“ für ihn die unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung der landschaftlichen Schönheiten der Oberpfalz und damit für deren Wertschätzung war, und weil er überzeugt davon war, dass viele Menschen dieses Sehen der Landschaft noch gar nicht gelernt hatten, wollte er seine Zuhörer zu nichts weniger als zum „künstlerischen Sehen“, mithin zum „Herausschneiden“ von Bildern aus der Natur anleiten, oder, wie er es selbst durchaus selbstbewusst formulierte: „Ich legte den lieben Regensburgern, denen Ausflüge immer identisch mit dem Besuche von Wirtshäusern waren, darin deutlich dar, wie der Naturfreund wandert, wie er die Natur und was er in ihr sehen soll usw.“.
Max Schultze scheint sich übrigens selbst ein wenig über die positive Aufnahme seiner mitunter in oberlehrerhaftem Duktus gehaltenen Waldvereins-Vorträge gewundert zu haben, wenn er schreibt: „Meine Zuhörer haben damals die Wahrheiten, die ich ihnen an den Kopf warf, mir nicht verübelt, sondern darüber entweder gelacht oder sogar sie sich zu Herzen genommen und nach meinen Anregungen gehandelt“. Mit Sicherheit war er aber auch stolz auf seinen Erfolg, denn an anderer Stelle berichtet er, dass er die große Freude erlebt habe, „daß mir angesehene, ältere Männer später dankten, indem sie sagten: `Seit ich Ihre Vorträge hörte, habe ich doppelten Genuß von meinen Ausflügen, denn ich habe draußen jetzt erst sehen gelernt´. Bei vielen der vorgeführten Bilder ging ein: Ah, oh!! durch die Versammlung und kaum 30 Prozent der Bilder war den Zuhörern bekannt, bei den übrigen hieß es meist: `Ja, wo ist das? Das ist aber schön!´“
Erwähnt sei noch, dass Max Schultze Johann Baptist Laßleben Anfang 1920 vorschlug, jener solle das zugesandte Manuskript, das sich „einseitig nur auf das Landschaftliche bezog“, in historischer, kultureller und volkswirtschaftlicher Beziehung ergänzen und erweitern, um daraus einen umfassenderen Vortrag zu machen, welcher „noch eine ungleich größere Wirkung erzielen“ müsste, oder aber ein Buch, das heimatlichen Wanderern als kulturhistorischer Führer oder Begleiter sehr nützlich wäre. Schultze plante damals ohnedies, Laßleben sein gesamtes diesbezügliches Material zur Verfügung zu stellen: „Ich könnte ja nicht besser darüber verfügen, als daß ich alles, was die Oberpfalz betrifft, Ihnen hinterlasse oder lieber Ihnen noch bei meinen Lebzeiten übergebe. Dann weiß ich gewiß, daß ich nicht umsonst daran gearbeitet habe“.
Die Ankündigung, seine Lichtbildersammlung über das Naabtal, das Donautal, das Altmühl und das Regental genauso zu behandeln wie die des Labertals, und ab sofort daran zu gehen, „niederzuschreiben, was ich seiner Zeit über diese anderen Täler gesagt habe“, scheint Max Schultze freilich nicht wahr gemacht zu haben. Die einschlägigen Diapositive hat er Laßleben zwar tatsächlich zukommen lassen, nicht aber die zugehörigen Vortragsmanuskripte, zumindest sind sie nicht erhalten.
Das hier erstmals veröffentlichte Manuskript über den Labertal-Abend im März 1904 ist nicht nur ein seltenes, sondern auch ein sehr wichtiges Zeugnis der Heimatschutzbewegung in der Oberpfalz. Zusammen mit den zitierten Begleitschreiben Max Schultzes an Johann Baptist Laßleben gewährt es einen authentischen, ja geradezu intimen Einblick in das Fühlen und Denken eines der wichtigsten Vertreter dieser Bewegung in und um Regensburg an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Nicht zuletzt deshalb, aber auch wegen der zeitlosen Aktualität seiner Inhalte und den überraschenden Parallelen zur heutigen Zeit, hat es verdient, nach beinahe 100 Jahren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht zu werden.
Thomas Feuerer